Montag, 3. Mai 2010

Das Hellas-Komplott

Monatelang haben Politiker und Notenbanker um Hilfen für Griechenland gerungen. Sie waren Getriebene: Während sie kämpften und stritten, spekulierten Hedge-Fonds und Banken gnadenlos gegen den Pleitekandidaten und den Euro. Chronik eines europäischen Dramas.

Es waren Sätze voller Verzweiflung, die der EU-Kommissar an einem Tag im März in die Welt setzte. "Ich will wissen, wer das getan hat!", sagte Michel Barnier. "Ich will es verstehen!"
Wohl selten zuvor hat ein EU-Bürokrat so menschlich und allgemein verständlich ausgesprochen, was Millionen Europäer zu dem Zeitpunkt fühlten. Ja, wer hatte das getan? Wer hatte Griechenland und Europa und seine Währung angegriffen? Wer spekulierte seit Monaten gegen das Land, setzte Milliarden auf dessen Zahlungsunfähigkeit?
Die Sätze des Binnenmarktkommissars waren ein Hilferuf. Seit Wochen hielt die Griechenland-Krise den alten Kontinent in Atem, und immer wieder klagte die Regierung in Athen, klagten Brüsseler Bürokraten, Minister, Banker, Währungshüter, Kolumnisten und Blogger, das Ganze sei ein böses Werk von Spekulanten.
Ein wenig war es wie in George Lucas' Epos "Der Krieg der Sterne". Alle spürten die dunkle Seite der Macht, aber keiner wusste, wer und wo Darth Vader ist. Sicher, es gab Gerüchte: Große Hedge-Fonds in den USA sollten ein Komplott geschmiedet haben, Investmentbanken ihr Spiel spielen - genaue Daten aber gab es nicht. Denn der Markt für CDS, für Kreditausfallversicherungen, und auch der Anleihemarkt sind so transparent wie ein Milchglas.

Doch kann von Tätern überhaupt die Rede sein? Reagiert der Markt nicht erst auf die Lage eines Landes, das sich heillos verschuldet und das wahre Ausmaß verschwiegen hat? Oder sind es die Spekulanten, die sich wie die Spinne aufs Insekt stürzen, das sich im Netz verfangen hat?
Es ist eine Diagnose, die viele aus dem Bauch fällen, und deshalb hat sich Europa in den vergangenen Monaten gespalten - in die, die Griechenland helfen wollen, und jene, die es für den Sündenfall halten. Auf der einen Seite Deutschland, wo viele Griechenland am liebsten aus der Euro-Zone werfen würden, in ihrem harten Vorgehen zaghaft unterstützt von den Niederlanden und den skandinavischen Ländern. Auf der anderen Seite Frankreich und die Südländer Spanien, Italien und Portugal, auch "Club Med" genannt, die Griechenland bedingungslos beispringen wollen.
Verletzungen hat es deshalb gegeben, die Deutschen haben die Griechen als faul und korrupt bezeichnet, die Griechen haben die Nazi-Karte gespielt und zum Boykott deutscher Produkte aufgerufen.
Schutzlos hat sich dieses Europa gezeigt, uneins und hilflos.

......
Schock und Entsetzen
Wenige Monate zuvor, es ist Mitte Dezember, sitzt in Athen ein entschlossener Mann in seinem Büro und spricht über die Schmerzen seines Volkes: "Jede Demonstration findet direkt vor meinen Augen statt", sagt er und zeigt durchs Fenster auf den Syntagma-Platz, den "Platz der Verfassung", wo in der griechischen Hauptstadt fast alle großen Proteste beginnen. "Da weiß ich genau, wie die Stimmung im Volk ist."
Giorgos Papakonstantinou hat beschlossen, seinem Land wehzutun. Erst seit zwei Monaten ist er Finanzminister, 48 Jahre alt, ein Ökonom, der an der London School of Economics studiert hat. Als er im Oktober den wohl schlimmsten Job in Griechenland übernahm, hatte er vor Zuversicht gestrotzt: "Ich begehe keinen politischen Selbstmord", verkündete er. "Ich bin einfach fest davon überzeugt, dass wir Erfolg haben können." Vor ihm lag das Unmögliche: Ein Staatsdefizit von 12,7 Prozent, er musste Milliarden aus dem Haushalt pressen.
Inzwischen ist es kurz vor Weihnachten, schwere Ringe liegen unter seinen Augen, die Nachrichten werden immer schlechter. Die Ratingagentur Fitch hat sein Land zweimal herabgestuft, bald werden S&P und Moody's folgen. Und im fernen Berlin sitzt sein deutscher Kollege, Wolfgang Schäuble, und verkündet kalt: "Wir Deutschen können nicht für Griechenlands Probleme zahlen."
Papakonstantinou gibt sich kämpferisch: "Wir wollen bis 2012 die Schuldenexplosion in den Griff bekommen", sagt er. Was er nicht ahnt: Es ist ziemlich egal, wie groß sein Sparpaket werden würde. Griechenland würde den Kampf am Anleihemarkt verlieren - und die Deutschen würden zahlen.
Einer hat gequatscht. Wolfgang Schäuble ist wütend. Nun ist in der Welt, was hatte geheim bleiben sollen. Es ist Anfang Februar, die Stimmung im neuen Jahr hat sich gedreht: Längst sehen die Deutschen ein, dass die griechischen Probleme auch ihre sind.
In Deutschland hat sich bis jetzt nur ein kleiner Kreis von Spitzenbeamten und Notenbankern mit dem Thema befasst. Nun sitzt der Minister mit den Finanz- und Haushaltspolitikern der Koalition zusammen. Ruhig und ernst, die Hände wie so oft in den Schoß gelegt, gibt Schäuble einen Lagebericht: Er habe mit EZB-Bankern gesprochen, mit Bundesbankpräsident Axel Weber und auch mit dem Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann. Alle hätten ihm gesagt: "Die Märkte auszutesten ergibt keinen Sinn." Die Folgen seien unabsehbar.



Man werde den Griechen wohl oder übel helfen müssen. Schäuble hat schon einen Plan: Gepoolte Kredite der Euro-Staaten in Kooperation mit dem IWF sollen Griechenland vor der Zahlungsunfähigkeit bewahren.
Die Abgeordneten sind schockiert. So hatten sie sich das neue Jahr, das nach einem missglückten Regierungsantritt endlich die Wende für Schwarz-Gelb bringen soll, nicht vorgestellt. Obgleich Schäuble nur einen kleinen Kreis informiert und alle um größte Verschwiegenheit bittet, verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Deutschland arbeitet an einem Notfallplan! Schon am nächsten Tag sind die wichtigsten Parlamentarier informiert - und alarmiert. Das werde "eine ganz schwierige Kiste", sagt ein führender Unionspolitiker. Es ist schließlich Michael Meister, der stellvertretende Unionsfraktionschef, der sich in der FTD öffentlich äußert. Die Nachricht geht um die Welt und bewegt die Börsen von Tokio bis New York.
Im Finanzministerium und Kanzleramt ist man entsetzt. Als Schäuble erneut die Fraktionsspitze unterrichtet, ist die Stimmung schlecht, Schäuble stinksauer, Meister zerknirscht. Ab sofort gelte ein striktes Sprechverbot, fordert Schäuble. Es ist nur ein erster Vorgeschmack auf die Konflikte zwischen Finanzminister und den Abgeordneten.

These vom Angriff aus Amerika
Jean Quatremer muss ein paar wichtige Informationen loswerden. Der Brüsseler Korrespondent der französischen Zeitung "Liberation" will zwar keine Namen nennen, aber er ist so erregt, das er etwas schreiben muss. "Mit jedem Tag wird immer klarer, dass US-Banken und Hedge-Fonds auf einen Bruch der Euro-Zone spekulieren", sprudelt es am 6. Februar in seinem Blog aus ihm heraus. Ihr Vorbild sei George Soros, der Anfang der 90er-Jahre erfolgreich gegen das britische Pfund wettete.
"Zuverlässigen Informationen von Banken und Behörden zufolge, die ich am Freitag erhalten habe", schreibt Quatremer weiter, "stecken eine US-Investmentbank (die von der Bankenrettung profitiert hat) und zwei große Hedge-Fonds hinter den Attacken auf Griechenland, Portugal und Spanien. Ihr Ziel: viel Geld verdienen, indem sie Panik schüren, damit sie von Griechenland mehr Geld verlangen können." Die Motive, die er nennt, klingen aberwitzig: Die Hedge-Fonds seien wütend, weil sie nur einen Bruchteil der griechischen Anleihe bekommen hätten, die das Land Ende Januar platziert hatte.
Quatremers Verdacht rast durchs Netz, in dem seit Tagen allerlei Verschwörungstheorien kursieren. Spekuliert wird nun über Spekulanten. Auf Zerohedge.com fragt ein Blogger: "Gibt es eine konzertierte Aktion, um Griechenland zu zerstören?" Im deutschen "Spekulantenblog" schreibt ein Autor, dass die CDS-Raten entweder "Zeichen einer blanken Panik" seien - oder aber "ein gezielter Angriff auf den CDS-Kurs".
Auch offizielle Münder sprechen über die Attacke: "Griechenland steht im Zentrum eines beispiellosen spekulativen Angriffs", klagt Ministerpräsident Giorgos Papandreou: "Und das wird unsere Wirtschaft abwürgen."

In das Bild passt eine weitere Geschichte, die kursiert: Ende Januar soll eine denkwürdige Delegation nach Griechenland gereist sein, angeführt von Goldman Sachs. Im Schlepptau Investoren, darunter die Hedge-Fonds Citadel Investment Group aus Chicago und Eton Park Capital Management aus New York. Auch der ewige John Paulson soll zwei Mitarbeiter geschickt haben, berichtet die Financial Times, was alle Teilnehmer nicht kommentieren. Sie treffen den stellvertretenden Finanzminister und Vertreter der Notenbank - und stellen strenge Fragen zum Zustand des Landes. "Viele haben sich gefragt, was die da wohl machen", wird ein hochrangiger Banker zitiert.
Zumal Goldman und Griechenland bereits für ganz andere Schlagzeilen gesorgt haben: Demnach hatte die Investmentbank dem Pleitekandidaten geholfen, seine Haushaltszahlen mit komplexen Finanztransaktionen aufzumöbeln.
Griechische Medien berichten, dass die Regierung sogar den Geheimdienst EYP eingeschaltet habe, um dem Verdacht nachzugehen - was Athen dementiert, aber immerhin einräumt, dass man versuche herauszufinden, "wo diese spekulativen Spiele ihren Ursprung haben".

Also nicht nur Teufelswerk?
Die These von dem Angriff aus Amerika ist endgültig in der Welt.
Nach den Daten des US-Abwicklungshauses DTCC hat der Umsatz mit CDS auf Griechenland, Spanien und Italien Ende Januar einen Rekord erreicht. Allein das Volumen neuer CDS-Kontrakte auf Griechenland verdreifachte sich auf über 16 Mrd. $. Im Februar sinkt die Summe zwar wieder auf 7 Mrd. $, liegt aber noch massiv über dem Niveau vom Jahresanfang.
Die griechischen Medien nennen auch Namen: Pimco, der weltgrößte Anleihefonds, Europas größter Hedge-Fonds Brevan Howard und John Paulson hätten sich an der Spekulation beteiligt. Paulson und Pimco äußern sich nicht zu dem Verdacht, Brevan Howard lässt verlauten, dass der Fonds seit Mitte Dezember keine Positionen halte, die von Verlusten griechischer Bonds profitieren würden.
Auch andere Hedge-Fonds signalisieren, dass sie sich hauptsächlich vor Weihnachten eingedeckt hätten - und nun Gewinne bei griechischen CDS mitgenommen hätten.
Ein Teil der Meute ist weitergezogen: Einige Fonds sind auf spanische CDS umgestiegen, die günstiger bewertet sind. Es sind, sagen Experten, vor allem Banken und Vermögensverwalter, die sich auf dem CDS-Markt gegen Zahlungsausfälle absichern. Ausstehende Bonds im Wert von 300 Mrd. Euro zwingen die Investoren, sich zu wappnen.
Also doch nicht nur Teufelswerk?
Im fernen New York, ebenfalls im Februar. In einer feinen Privatwohnung in Manhattan treffen sich am 8. des Monats ein paar Herren zu einem "Idea Dinner", Gastgeber ist die Broker-Firma Monness, Crespi, Hardt, die bisher nicht als Währungsexperten aufgefallen ist. Es gibt mit Zitrone gegrilltes Hühnchen und Rinderfilets - und jede Menge Themen: Griechenland, der Euro, Gold.
Das "Wall Street Journal" nennt die großen Namen: Anwesend sind die Hedge-Fonds-Titanen SAC Capital Advisors, Soros Fund Management, Greenlight Capital, Brigade Capital und - natürlich - Paulson & Co.
Keiner der Genannten dementiert, keiner kommentiert das Treffen. Donald Morgan von Brigade Capital sagt in die Runde, dass die griechische Schuldenkrise einen Dominoeffekt auf alle Staatsschulden haben könne. Auch David Einhorn von Greenlight, einer der frühen Skeptiker von Lehman Brothers, meldet sich zu Wort, sagt, er sei inzwischen in Gold investiert. Wortführer aber ist SAC-Capital-Manager Steven A. Cohen, und er hat vor allem eine Idee: Er drängt seine Kollegen, auf einen Kursverlust des Euro zu setzen: Die Währung, so die These, könne sogar die Parität zum Dollar erreichen.

Ein perfides Spiel

Der Euro hat da bereits deutlich an Wert verloren. Anfang Dezember war ein Euro noch 1,50 $ wert, zu diesem Zeitpunkt sind es nur noch 1,37 $. Auch die Nettoverkaufspositionen an den Terminmärkten steigen in den Tagen rapide. Just in der ersten Februarwoche klettert die Anzahl der Kontrakte, mit der Händler an der Chicago Mercantile Exchange (CME) auf einen Kursverfall des Euro wetteten, auf 40.000 oder eine Gesamtsumme von 7,6 Mrd. $ (5,6 Mrd. Euro) - der höchste Wert seit Einführung der Gemeinschaftswährung. Bis Ende Februar erhöht sich das Volumen auf 8,9 Mrd. Euro.
"Der Euro steht unter massivem Druck von Spekulanten", sagt Paul Kavanaugh, ein Analyst bei PFGBEST. "Und das lässt sich auf das Treiben der Hedge-Fonds zurückführen." Zumal die Daten der Chicagoer Börse nur einen Bruchteil des Marktes abbilden. Der größte Teil des Devisenhandels findet außerbörslich statt.
Vielleicht wären die Äußerungen von dem gemütlichen New Yorker Dinner für immer geheim geblieben - wenn der Gastgeber sie nicht in einer Studie zusammengefasst und an Hunderte Hedge-Fonds geschickt hätte. "Es gab viele Telefonate zu den Euro-Wetten und auch weitere Treffen", bekennt Charles Gradante, Gründer der Hennessee Group. An dem Angriff seien große und kleine Hedge-Fonds beteiligt, aber auch europäische Banken, Versicherungen - und Staatsfonds aus Dubai, Indonesien und Japan.
John Paulson, berichten US-Medien, habe immer wieder Dutzende von Banken angerufen, um seinen "Pessimismus zu Griechenland" kundzutun. Auch George Soros warnt lautstark, die Euro-Zone könne auseinanderbrechen.
Es ist ein perfides Spiel: Die Stimmung wird aufgeheizt, in Hintergrundzirkeln, an Telefonen, in Interviews - und mit Währungswetten an der Panik verdient. "Das ist die Gelegenheit, jede Menge Geld zu machen", sagt Hans Hufschmid, Chef von GlobeOp Financial Services.
Es ist nicht illegal, wenn Hedge-Fonds gleiche Wetten abschließen. Problematisch wäre es, wenn sie konzertiert handelten. Ein solches Vorgehen wird bis dahin von den Aufsichtsbehörden nicht beanstandet.
Immerhin, das US-Justizministerium leitet eine Untersuchung wegen möglicher Absprachen ein - und fordert die Teilnehmer des Dinners auf, ihre Handelsdaten nicht zu vernichten. "Es wird extrem schwer, ihnen illegales Verhalten nachzuweisen", sagt John Coffee, Juraprofessor an der Columbia University. Die vermeintlichen Verschwörer geben sich selbstsicher "Das ist politische PR", spottet Charles Biderman, ein Hedge-Fonds-Lobbyist.

Sätze, die Milliarden bewegen
Zurück in Europa, drei Tage später, der 11. Februar, ein klarer, kalter Wintertag in Brüssel, an dem Europa Griechenland, seine Währung und irgendwie sich selbst retten will.
Und ausgerechnet jetzt diese Panne mit dem Mikrofon. Herman Van Rompuy, der EU-Ratspräsident, soll die Erklärung verlesen, an der über Stunden mühsam gefeilt wurde. Doch erst ist er nicht zu hören, und dann verhaspelt er sich noch, dabei werden seine Sätze Milliarden bewegen.
Ohnehin ist der Tag nicht wie geplant verlaufen. Van Rompuy wollte in den historischen Räumen der Bibliothek Solvay nahe dem EU-Parlament in Ruhe über die Zukunft der Euro-Zone sprechen. Stattdessen beginnt alles Stunden später: offiziell wegen Flugverspätungen, inoffiziell, weil sich Angela Merkel, Nicolas Sarkozy, Van Rompuy und Kommissionspräsident José Manuel Barroso erst mal allein den griechischen Premier Papandreou vorknöpfen wollten.
Als der sich dem EU-Regime unterwirft, ist der Weg frei für die erste von vielen Hilfserklärungen, die der Kontinent in den kommenden Wochen zu hören bekommen wird.
Und Merkel, die sich immer noch sträubt, sagt einen Satz, der ebenfalls hundertfach variiert werden wird: "Griechenland wird nicht allein gelassen. Aber es gibt Regeln, die müssen auch eingehalten werden."
Der Erfolg an den Märkten bleibt aus, die meisten merken schnell, dass die Hilfserklärung reichlich unkonkret ist. Merkel vergleicht den Beschluss zwar mit ihrer Garantieerklärung für alle deutschen Sparkonten vom Oktober 2008. Damals haben die Deutschen ihrer Kanzlerin geglaubt.
Nun glaubt niemand so recht daran.


Nur die Kanzlerin spielt nicht mit
Keine Frage, es tut weh. "Gott helfe uns", ruft "Apogevmatini", eine konservative Zeitung aus Athen. Kein Geld für den Konsum! Nicht nur der Kleinhändler, auch der Mittelstand wird aussterben! "Der 3. März wird uns unvergesslich bleiben", schreibt die linksliberale "Eleftherotypia". Und die regierungsnahe "Ethnos" spricht gar vom "Jüngsten Gericht". Was ist passiert?
Die Regierung hat Anfang des Monats ein neues Sparpaket vorgelegt, 4,8 Mrd. Euro will das Land noch mal sparen, das sind zwei Prozent des BIPs, ungeachtet der Proteste im ganzen Land. Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst, eine höhere Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte, höhere Steuern auf Kraftstoffe, Tabak und Alkohol, die staatlichen Renten werden eingefroren.
Griechenland will zeigen, dass man es ernst meint. Ministerpräsident Papandreou bricht zu einer kleinen Odyssee auf, er besucht Merkel, Sarkozy, dann geht es weiter in die USA, zu Barack Obama. Zumindest Frankreich hat er voll auf seiner Seite. "Ich will klar sagen, dass die Euro-Länder ihre Pflicht erfüllen werden, sofern es die Situation gebietet", versichert Sarkozy. "Wir stehen bereit und sind entschlossen." Auch die Griechen geben sich entschlossen. "Ein Szenario, in dem Hilfe nötig sein wird, wird nicht Wirklichkeit werden", sagt Notenbankpräsident Georgios Provopoulos. Das Land habe gezeigt, dass es zu "mutigen Schritten" bereit sei, außerdem habe man ja gerade erfolgreich eine zehnjährige Staatsanleihe platziert. "Ab jetzt wird der Druck abnehmen."
Provopoulos irrt. Das große Wetten geht weiter. Die Risikoaufschläge auf Bonds der Hellenen steigen wieder. Während das Land mit Generalstreiks überzogen wird, einigen sich am 15. März die Euro-Finanzminister auf einen Hilfsmechanismus. Zehn Tage später folgt der zweite EU-Gipfel.
Angela Merkel hat inzwischen ihre ganz eigene Griechenland-Rechnung. Ein Drittel ihrer Arbeitszeit, schätzt sie, verbringt sie schon mit dem Thema. Anderen geht es ähnlich. "Die Nächte sind kurz", sagt EU-Währungskommissar Olli Rehn. Der andere Teil von Merkels Rechnung lautet: Deutsche Steuergelder für griechische Renten kann sie weder der CDU noch den Wählern in Nordrhein-Westfalen vermitteln.
Eigentlich stand der Rettungsplan, und alle waren dafür, Wolfgang Schäuble, Sarkozy und EZB-Präsident Jean-Claude Trichet. Die Marschroute: Die globale Feuerwehr IWF bleibt außen vor, die EU bekommt das allein hin. Das ist eine Frage der Ehre.
Nur die Kanzlerin spielt nicht mit. Der IWF soll in den Hilfsmechanismus einbezogen werden. Es ist ein kleinster Kreis, der kurz vor dem EU-Gipfel die Solidarität für Griechenland auslotet: Nur Deutschland und Frankreich treffen sich, nicht einmal EU-Ratspräsident Van Rompuy darf dabei sein.
Trichet redet sich um Kopf und Kragen
Merkel pokert, bis Sarkozy nachgibt. D'accord, der IWF ist im Boot. Spaniens Ministerpräsident José Luis Zapatero, der den EU-Vorsitz führt, wird von Merkel am Telefon informiert, während sie zum Flughafen fährt.
In der großen Runde fragt er später zaghaft, ob es nun eine Art deutsch-französisches Direktorium in der EU gebe. Vertreter kleinerer Länder fühlen sich übergangen. Schnell wird eine Tagung der Euro-Gruppe vor dem Treffen aller Länder eingeschoben - als "Aperitif" vor dem Abendessen.
Das Ergebnis ist klarer als am 11. Februar. Den Griechen wird eine gemeinsame Finanzierung des IWF und aller Länder der Euro-Gruppe in Form bilateraler Hilfen versprochen. Deutschland hat sich auch bewegt: Der Hilfsantrag kann jetzt bei "unbefriedigender Finanzierung am Markt" gewährt werden und nicht nur, wenn das Land gar kein Geld bekommt. "Ein guter Tag für den Euro", verkündet die Kanzlerin. Eine "tragfähige und belastbare Lösung", sagt Jean-Claude Juncker, der Chef der Euro-Gruppe.
Merkel wirkt angespannt, als sie wie üblich spätabends im Hotel Amigo über den Tag berichtet. Seit ein paar Tagen heißt sie nur noch "Madame Non".
Jean-Claude Trichet redet sich um Kopf und Kragen. Fast anderthalb Stunden versucht der Notenbanker, Zuversicht zu verbreiten. Es ist der Donnerstag nach Ostern, Trichet hat zur Pressekonferenz in Frankfurt geladen, um die Märkte zu beruhigen.
So geht das seit Wochen: Alles, was Politiker oder Notenbanker tun und sagen, muss immer ein "Signal an die Märkte" sein. "Nach allen Informationen, die ich habe", sagt Trichet, "ist eine Staatspleite kein Thema." Aber: "Wir bleiben natürlich in Alarmbereitschaft."

Selbstmord aus Angst vor dem Tod
Die Bereitschaft des Marktes, sich zu beruhigen, ist gering. Den ganzen Tag verkaufen Investoren griechische Anleihen. Die Risikoprämien klettern auf 7,4 Prozent, ein neues Rekordhoch. Die Regierung in Athen greift zu drastischen Maßnahmen: Sie schließt den Handel in der Hauptstadt, um den Ausverkauf zu stoppen - was später als "technische Panne" deklariert wird.
Trotz des Kompromisses vom März ist vieles unklar. Die Sparauflagen für Griechenland - vier Prozentpunkte des Defizits pro Jahr - halten viele Ökonomen für Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Auch der Zinssatz, zu dem die Länder den Hellenen Geld leihen sollen, ist umstritten. Er soll "kein Subventionselement erhalten", lautet das Junktim. Für die Deutschen heißt das: ein Marktzins, etwa 7,5 Prozent. Völliger Quatsch wäre das, sagen andere, das würde das Land überfordern.
Trichet ist alarmiert, zumal er tags zuvor mit seinen Aussagen, zu welchem Zins Griechenland Geld bekommt, für Verwirrung gesorgt hat. Am 9. April ruft er den EZB-Rat zu einer Telefonkonferenz zusammen. Thema: die "neuen Entwicklungen".
Verzweifelt versuchen die griechischen Politiker, Optimismus zu verbreiten. Man liege "voll in der Spur" mit dem Sparplan, sagt Finanzminister Papakonstantinou. "Es gibt keinerlei Aussicht, dass Griechenland seine Schulden nicht wird bezahlen könne", versichert Louka Katseli, die Wirtschaftsministerin. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Statt 1,3 Prozent soll die Wirtschaft um drei Prozent schrumpfen. Und das Defizit soll statt 12,7 satte 14 Prozent betragen. Derweil räumen griechische Sparer ihre Konten ab.
Als Dominique Strauss-Kahn am Samstag im fensterlosen Raum R-710 vor die Presse tritt, will er keine Fragen zu Griechenland mehr beantworten. "Wir müssen warten, bis die Verhandlungen in Athen zu Ende sind", wiederholt der Chef des Währungsfonds immer wieder einsilbig. Als ihn ein griechischer Journalist auf die Ängste vieler seiner Landsleute anspricht, schmunzelt er: "Leider sind die Griechen nicht die Einzigen, die den IWF dämonisieren. Die griechischen Bürger müssen keine Angst vor dem IWF haben. Wir sind da, um zu helfen."
Und er muss helfen. Keine 24 Stunden ist es her, dass Ministerpräsident Papandreou von einem entfernten Eiland in der Ägäis aus um Hilfe gerufen hat. Vor einer Kulisse wie auf einer Postkarte, tiefblaues Wasser, ein verträumtes Boot, gleißende Sonne, eine Küste mit weiß getünchten Häusern. Davor ein alter Mann mit einem Blatt Papier.

Hilfe sorgt in Deutschland für Eruptionen
Nun tritt der Mechanismus in Kraft, den die EU-Länder am 11. April vereinbart haben. Bis zu 30 Mrd. Euro wollen sie bereitstellen, der IWF gibt weitere 15 Mrd. Euro. Deutschland müsste davon über 8 Mrd. Euro schultern, und der Zins beträgt rund fünf Prozent. "Madame Non" hat inzwischen "Ja, aber" gesagt.
Die Hilfe hat in Deutschland für Eruptionen gesorgt. Finanzminister Schäuble, der mit einem Kniff das Gesetz durch die Gremien schleusen wollte, hat einen Aufstand der Abgeordneten erlebt. Er gilt als angeschlagen, nicht nur politisch, zur IWF-Frühjahrstagung nach Washington schickt er seinen Staatssekretär Jörg Asmussen.
Das Hilfsgesuch hält am Wochenende die Finanzelite in Atem, die sich in Washington versammelt hat. Wie schlimm ist die Lage wirklich? Wie geht es jetzt weiter?
Viele versuchen, nach außen zu beruhigen. Es gebe "keinen unmittelbaren Refinanzierungsbedarf" für Griechenland, deshalb sei auch "keine Hektik erforderlich", sagt Asmussen am Freitag. Mit Bundesbankchef Axel Weber sitzt er im Roosevelt-Saal des noblen Ritz-Carlton und spricht über das anstehende Treffen der G-20. Es gibt Schokocroissants, belegte Bagels, Obst.
Trotz aller demonstrativen Ruhe überlagert das Thema Griechenland alles. Immer wieder schauen die Minister und Notenbanker sorgenvoll auf ihre Blackberrys und die Liveticker auf den Fernsehschirmen. Die Nervosität an den Märkten hat sich nur kurz gelegt. Die Anleger flüchten schon wieder aus griechischen Staatsanleihen, der Euro erlebt eine Berg-und-Tal-Fahrt.
Derweil wird eifrig zwischen Washington, Berlin, Brüssel, Athen und Frankfurt telefoniert: Immer wieder berät sich Asmussen am Handy mit Schäuble. In Frankfurt sitzt der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Jürgen Stark, der für die EZB die Gespräche mit Griechenland koordiniert.
In Athen ringen IWF-, EZB- und Kommissionsvertreter mit der Regierung um den Notfallplan. "Davon hängt jetzt alles ab, damit wir entscheiden können, wie es weitergeht", sagt einer aus dem G7-Kreis.

Alle spürten die dunkle Seite der Macht
Im Statement der G-20 am Freitag taucht Griechenland nicht auf. Sechs dicht bedruckte Seiten, kein Wort zu Griechenland. Ist das nicht eine Einladung an die Märkte?
Zumal andere längst wieder am Rechnen sind. Kanadas Finanzminister Jim Flaherty spricht davon, dass die 45 Mrd. Euro nach Einschätzung vieler wohl nicht reichen. Und die Deutschen? Sie winden sich schon wieder.
Wer ist's gewesen? In jedem Drama gibt es den guten Helden und den bösen. Bei Griechenland verschwimmen die Grenzen. Sicher, es gab Berichte über ein Komplott in New York, über geschürte Panik, mit der Geld verdient wird. Doch es waren auch Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter, die das Spiel mitgespielt haben - manchmal, weil sie es mitspielen mussten. Sogar Unternehmen wie Coca-Cola haben gegen den Euro gesetzt - um ihre Dollar-Gewinne abzusichern.
Ende März wurde bekannt, dass sogar die staatlich kontrollierte griechische Postbank TT in Kreditausfallversicherungen investiert hat - sie kaufte CDS für 1 Mrd. Euro. Damit hat Griechenland selbst indirekt auf die eigene Pleite spekuliert. Eine schizophrene Welt.
Und so war es nur fast wie bei "Krieg der Sterne". Alle spürten die dunkle Seite der Macht. Aber es gab keinen Darth Vader. Mitarbeit: André Kühnlenz, Tobias Bayer

http://www.ftd.de/politik/europa/:schuldenkrise-das-hellas-komplott/50105927.html