Worin bestehen die Meinungsverschiedenheiten?
Einige der grundlegenden Meinungsverschiedenheiten sind folgende:
1.Die Zuständigkeiten der Bundes - d.h. der Zentralregierung. Diese
Zuständigkeiten betreffen die Wirtschafts- und Finanzpolitik, die
Verteidigung sowie die Außenpolitik.
2.Die türkisch-zypriotische Seite verlangt, dass die Zentralbank Zyperns
keine entscheidende Rolle im Norden der Insel spielen soll, der sich
unter türkisch-zypriotischer Verwaltung befindet. Stattdessen soll es im
Nordteil eine autonome Abteilung der Zentralbank geben. Dies bedeutet,
dass auf den beiden Seiten unterschiedliche Wirtschaftspolitiken
umgesetzt werden können. Dies bedeutet weiterhin, dass die zentrale
Bundesregierung eines zukünftigen möglichen zypriotischen Staates keine
einheitliche Wirtschafts-, Finanz-, Währungs- oder Haushaltspolitik
umsetzen kann.
3.Die türkisch-zypriotische Seite will, dass die beiden Seiten, die den
zukünftigen möglichen zypriotischen Staat bilden werden, eine
eigenständige Außenpolitik haben können. Mit anderen Worten, es wird
keine einheitliche Außenpolitik geben können.
4.Beim Thema der Verteidigung betrachtet die türkisch-zypriotische Seite
die Garantien der Türkei als unverhandelbar. Auf der anderen Seite kann
die griechisch-zypriotische Seite auf keine Weise das einseitige Recht
der Türkei akzeptieren, in die inneren Fragen Zyperns zu intervenieren.
5.Beim Thema der Gesetzgebung verlangt die türkisch-zypriotische Seite,
dass es eine unabhängige Gesetzgebung des türkisch-zypriotischen Teils
gibt, die gleichwertig ist mit der Gesetzgebung des Bundesstaates. Mit
anderen Worten: die Gesetze des zypriotischen Bundesstaates werden nicht
auf der Gesamtheit der Insel gültig sein können. Der südliche und der
nördliche Teil werden ihre eigenen unterschiedlichen Gesetze haben.
6.Die griechisch-zypriotische Seite verlangt, dass Teile des nördlichen
Teils der Insel über diejenigen Territorien hinaus, die ihr
zurückgegeben werden (wie zum Beispiel Ammochostos),
griechisch-zypriotische Enklaven bilden innerhalb des türkischen Teils
(beispielsweise Karpasia und 2-3 weitere Gebiete). Die
türkisch-zypriotische Seite verweigert dies nachdrücklich und will ein
geografisch einheitliches Nordzypern unter türkisch-zypriotischer
Verwaltung. Und zwar ohne bedeutende Ansammlungen von
griechisch-zypriotischen Bevölkerungen auf ihrem Gebiet, die dem
griechisch-zypriotischen Bestandteil des Staates unterstehen würden.
7.Auch ist die türkisch-zypriotische Seite nicht dazu bereit, Freiheit
der Kapitalbewegung, des Erwerbs von Besitz und Niederlassungsfreiheit
zu akzeptieren.
8.All dies steht im Widerspruch zu EU-Prinzipien (Südzypern ist im
Gegensatz zum Norden ein Mitgliedsstaat der EU, Anm. d. Übers.). Die
türkisch-zypriotische Seite verlangt eine ständige Ausnahmeregelung von
diesen EU-Prinzipien. Dies ist etwas, was die griechisch-zypriotische
Seite nicht akzeptieren kann.
9.Entsprechend große Differenzen gibt es bei den Themen der Siedler
(türkische Bevölkerung aus der Türkei, die nach Nordzypern übergesiedelt
ist, Anm. d. Übers.) sowie der Anwesenheit türkischer Truppen. Die
griechisch-zypriotische Seite dagegen unterstützt die Demilitarisierung
der Insel, was die türkisch-zypriotische Seite ausschließt. Außerdem
schlägt die griechisch-zypriotische Seite vor, dass nicht mehr als
50.000 Siedler bleiben dürfen, was die türkisch-zypriotische Seite als
wahnsinnig niedrig betrachtet.
Es ist außerordentlich schwierig, zu sehen, dass es bei diesen
fundamentalen Gegensätzen eine Einigung geben kann. Denn diese betreffen
nicht die Frage, ob die Gebiete, die an die griechisch-zypriotische
Seite zurückgegeben werden, ein oder zwei Prozent mehr oder weniger
sind. Ebensowenig betreffen sie die Frage, ob die 1974 aus dem Norden in
den Süden geflüchteten griechischen Zyprioten, die zurückkehren werden
können, ein oder zwei Prozent mehr oder weniger sind. Wenn die
Differenzen sich auf diesem Niveau bewegen würden, wäre eine Einigung
relativ einfach.
Doch die derzeit bestehenden Differenzen berühren das Wesentliche des
Zypernproblems. Sie betreffen die Frage, wer im Norden der Insel die
Macht ausübt. Was im Wesentlichen die „türkische Seite“ verlangt, ist,
dass die griechischen Zyprioten kein wesentliches Mitspracherecht bei
der Verwaltung von Nordzypern haben sollen. In diesem Staat werden die
türkisch-zypriotische und die türkische herrschende Klasse das Sagen
haben. Wenn die Forderungen der türkisch-zypriotische Seite akzeptiert
würden, wäre dies in der Praxis gleichbedeutend mit zwei unabhängigen
Staaten. Wenn dies von der griechisch-zypriotischen Seite akzeptiert
würde, dann würde die schon bestehende Teilung sich beschleunigen.
Ebenso die Anerkennung von Nordzypern durch das Ausland, was in der
Praxis ebenfalls zwei unabhängige Staaten bedeuten würde. (Der türkische
Nordteil ist von der UN und den meisten Staaten nicht anerkannt, Anm. d.
Übers.)
Das Bild sieht sehr pessimistisch aus. Nach 35 Jahren Verhandlungen
bleiben die Differenzen im Wesentlichen dieselben. Dies bestätigt die
Position, an der wir seit vielen Jahren festhalten, dass es nämlich auf
der Basis des Kapitalismus keine Lösung geben kann, die die beiden
Gemeinschaften der Insel vereint, die griechischen und die türkischen
Zyprioten.
Eine Lösung kann es nur geben im Rahmen der gemeinsamen Kämpfe der
griechisch-zypriotischen und der türkisch-zypriotischen Lohnabhängigen
und einfachen Leute, die nichts trennt. Gegen die herrschenden Klassen,
die um die Herrschaft konkurrieren, gegen die Nationalisten, gegen die
Vaterländer (gemeint sind Griechenland und die Türkei, Anm. d. Übers.)
und gegen die ständigen Einmischungen der Imperialisten.
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