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ES ist zeit die Skulpturen zurückzugeben
Nach den Entwürfen des Schweizer Stararchitekten
Bernard Tschumi wurde das dreistöckige Museum
am Fuß der Akropolis errichtet
© Orestis Panagiotou/dpa
Bernard Tschumi wurde das dreistöckige Museum
am Fuß der Akropolis errichtet
© Orestis Panagiotou/dpa
Die Akropolis. Sie steht für den Sieg der Athener über die Perser und ihren Aufstieg zur Weltmacht, für die erste Demokratie unter Perikles, für die Geburt von Philosophie und Wissenschaft. Die Akropolis und besonders der Parthenon-Tempel stehen für fast alles, worauf Europa stolz ist. Doch die erhaltenen Kunstwerke dieses Symbols sind nur noch zur Hälfte an ihrem Entstehungsort. Lord Elgin, ein britischer Diplomat, ließ große Teile der Parthenon-Skulpturen in den Jahren 1801 bis 1805 vom Tempel entfernen und nach London schaffen. Seither sind die Elgin Marbles, die Hauptwerke der griechischen Klassik, das Prachtstück des British Museum. Seit Jahrzehnten fordern die Griechen sie zurück. Das Neue Akropolis-Museum in Athen, das am kommenden Sonntag öffnet, ist ein gebautes Argument für diese Forderung. Doch wem gehört die Geschichte? Und wem gehören folglich die Werke, die diese Geschichte dokumentieren?
Das Museum gibt eine deutliche Antwort: Wir sind ein Griechenland, wir sind ein Fries! Der französische Architekt Bernard Tschumi hat an den Fuß der Akropolis, nur 300 Meter entfernt vom Parthenon, einen großen Kasten gesetzt, der gar nicht erst versucht, leicht oder spielerisch zu wirken. Über byzantinischen Siedlungsresten erhebt sich das Museum, gestützt auf 100 Säulen. Alle sollen sehen: Die großen Errungenschaften der griechischen Antike ragen hinein in die Gegenwart. Tschumis Bau ist nicht schön – aber ein Meisterwerk der symbolischen Inszenierung.
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Besonders deutlich wird dies in der Präsentation der Friese: Erstmals kann man die Ikonen der griechischen Klassik in der Anordnung sehen, wie sie am Tempel angebracht waren. Das bisherige Besitzargument des British Museum, in Athen gäbe es keinen angemessenen Ort, um die Friese zu zeigen, ist damit endgültig wertlos. Doch noch immer gehört Athen weniger als die Hälfte der erhaltenen Reliefplatten, und so hat man die fehlenden Teile durch Gips-Abgüsse ergänzt. Es sind blasse, schematisch wirkende Kopien aus dem 19. Jahrhundert. Auf einem Paneel, das einen Reiter zeigt, ist der Kopf ein Originalbruchstück, das Elgins Mannen zurückließen, der Körper aber ist Gips, der Schwanz wieder original. Der inszenierte Bruch verfehlt nicht seine mahnende Wirkung.
Doch dass London seine Schätze je auf Dauer herausrücken wird, ist unwahrscheinlich. Inzwischen erkennt die britische Seite zwar an, dass die Skulpturen ein wichtiges Element der griechischen Identität seien, an ihrem Eigentumsrecht lässt sie aber nicht rütteln. Und tatsächlich würde man es sich zu einfach machen, blind für die griechische Seite Partei zu ergreifen. Gestritten wird vor allem über die Rechtmäßigkeit der Aneignung vor 200 Jahren. Die Griechen werfen Lord Elgin vor, sich die Erlaubnis zur Mitnahme durch Bestechung erkauft zu haben. In ihren Augen ist der Lord ein Dieb. Die britische Seite feiert ihn dagegen als Retter der Kunstwerke. Wären die Skulpturen am Tempel geblieben, sagen sie, wären sie heute zerstört. Vergleicht man den Zustand der Londoner mit denen der Athener Reliefs, haben sie recht. Plünderer, auch griechische, waren damals allenthalben unterwegs. Die Luftverschmutzung hat das Ihre getan. Doch Ex-post-Argumente dieser Art sind problematisch. Letztlich legitimieren sie jede Form des Kulturdiebstahls. Das sah bereits das britische Parlament so, das im Jahr 1815 mit knapper Mehrheit dem Kauf der Skulpturen für lächerliche 35000 Pfund zustimmte. Sir John Newport sagte in einer hitzigen Diskussion im Unterhaus, der »noble Lord« habe »einen himmelschreienden Akt der Plünderung« begangen. Moralisch steht England in der Defensive.
Deshalb hat sich das British Museum auf ein anderes Argument verlegt: Die Ausstellung der Skulpturen in London habe überhaupt erst bewirkt, dass die Kunst des Parthenon-Tempels zur Inspiration vieler Künstler und Literaten geworden sei. Längst sei die Kunst der Akropolis daher ebenso Teil der griechischen wie auch der britischen und europäischen Kultur. Die philhellenische Begeisterung in ganz Europa, die dem Land 1830 schließlich zu seiner Unabhängigkeit verhalf, wäre gar nicht aufgekommen – von Lord Byron bis Ludwig I. von Bayern, dessen Sohn Otto der erste König Griechenlands wurde. Wer also die Elgin Marbles zurückgeben wolle, gefährde am Ende auch die Institution des Museums. Denn erst das Museum lasse uns fremde Länder verstehen und trage deren Ruhm über die nationalen Grenzen.
Tatsächlich könnte das Neue Akropolis-Museum eine Diskussion über Restitution anstoßen, vor der sich alle Kulturstädte der Welt fürchten müssen. Denn nicht nur die Elgin Marbles, auch der Pergamon-Altar in Berlin, die Venus von Milo im Louvre und die Sixtinische Madonna in Dresden wurden ihrem symbolischen und territorialen Ursprung entrissen. Allerdings sind die wenigsten dieser Werke so eng mit dem Schicksal einer Nation verknüpft wie die Skulpturen des Parthenons, die zudem keinen Schmuck darstellen, sondern untrennbar zur Architektur gehören wie die Säulen. England sollte sie nach Athen schicken, als Dauerleihgabe. Griechenland aber sollte aufhören, England als Dieb zu bezeichnen und auf seinem Eigentum zu bestehen. Kultur hat einen Ort, aber keinen Besitzer. Gerade die Griechen mit ihrer kolonialen Vergangenheit sollten das wissen, wenn sie sich lautstark über London empören.
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